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Nachteulengottesdienste

Nachteulengottesdienst

Im Jahr 1996 gründeten der Ludwigsburger Pfarrer Georg Schützler und ich die Ludwigsburger „Nachteulengottesdienste“. Sie finden seitdem monatlich, jeweils am 3. Sonntag abends in der Ludwigsburger Friedenskirche statt. In diesem Jahr feiern die Nachteulengottesdienste ihr 20jähriges Bestehen.

Wie fing alles an? Georg Schützler, der damals erst seit kurzer Zeit Pfarrer in Ludwigsburg war, fragte mich bei einem Abendessen: “Hast Du Lust, mit mir in Ludwigsburg Abendgottesdienste zu beginnen?” Ich fand diese Idee, auch im Blick auf die Studierenden an der Pädagogischen Hochschule, sehr gut und sagte zu.

Folgende Gründe führten zu dem neuen Projekt: Georg Schützler empfand die allgemein geringen Besucherzahlen der Sonntagmorgengottesdienste als bedrückend, zumal diese Gottesdienste weithin nur ein bestimmtes kirchliches Publikum erreichen. Auf der Suche nach neuen Wegen, sah er in einem alternativen Sonntagabendgottesdienst eine geeignete Möglichkeit. Ihm war aufgefallen, dass es in Ludwigsburg bisher noch keine regelmäßigen Abendgottesdienste gab. Unserer Überzeugung nach ist der Sonntagabend aber auch grundsätzlich gesehen die geeignetste Gottesdienstzeit für heutige, erwerbstätige Menschen. Da der Samstagvormittag meist mit Einkäufen und anderen Erledigungen ausgefüllt ist, bleibt oft nur der Sonntagvormittag zum Ausschlafen und zum gemütlichen Brunch mit Familie oder Freunden. Außerdem empfinden viele heutige Menschen, insbesondere Singles, den Sonntagabend als eine schwierige Zeit (als “Leerlauf”), da es an diesem Abend nicht mehr so viele kulturelle Angebote gibt und die neue Arbeitswoche vor ihnen liegt. Die bisherigen zwanzigjährigen Erfahrungen bestärken uns in dieser Einschätzung.

Da ich mit Georg Schützler schon längere Zeit befreundet war und wir in vielen religiösen Dingen ähnlich denken, einigten wir uns rasch auf ein bestimmtes Profil des neuen Abendgottesdienstes. Wir wollten in diesem Gottesdienst keine Orgel, keinen Talar und kein Gesangbuch. Alles, was dem heutigen Menschen die Kirche unnötig fremd macht, wollten wir vermeiden. Pfarrer Schützler und ich waren uns darin einig, dass wir diesen neuartigen Gottesdienst nicht vorsichtig und ängstlich entwickeln wollen, sondern mutig und konsequent.

eulen1Die Nachteulengottesdienste basieren auf drei Elementen: Einer ausführlichen Verkündigung (30-45 Minuten), meditativen Körper- und Phantasieübungen (an denen sich alle Anwesenden aktiv beteiligen können) und einer musikalischen Gestaltung, die sich nicht an der traditionellen Kirchenmusik orientiert, sondern an der heutigen Popularmusik. Die  musikalische Leitung lag in den ersten Jahren in den Händen von Michael Schütz, Dozent für Popularmusik an der Kirchenmusikhochschule Tübíngen, und dem späteren Kirchenmusikdirektor Hans-Martin Sauter, der bis heute Musik und Gesang leitet. Georg Schützler übernahm von Anfang an bis heute die Liturgie und die Gesamtleitung des Gottesdienstes. Die Verkündigung war in den ersten sechs Jahren fast ausschließlich meine Aufgabe. Später öffneten wir diese Aufgabe für ein Team von Rednern bzw. Rednerinnen. Bei der Verkündigung handelt es sich nicht um Predigten traditioneller Art, sondern mehr um Vorträge im Sinne der Erwachsenenbildung mit predigthaften Elementen. Die Gottesdienste dauern 90-100 Minuten.

Die Nachteulengottesdienste widmen sich biblischen Texten und Themen, aber auch allgemeinen Fragen der Lebensgestaltung und der gesellschaftlichen Verantwortung. Die Gottesdienste fanden innerhalb kurzer Zeit ein ungewöhnlich starkes Interesse. Im Winter besuchen durchschnittlich 800-1100 Menschen diese Gottesdienste, im Sommer 600-900. Wie empirische Befragungen zeigen, haben etwa ein Drittel der Gottesdienstbesucher kaum sonstige Kontakte zum kirchlichen Leben.

Als die Nachteulengottesdienste 1996 begannen, waren sie  – zusammen mit der Thomas-Messe in Reutlingen – die einzigen regelmäßigen Alternativgottesdienste von regionaler Bedeutung innerhalb der württembergischen Landeskirche. Heute gibt es in dieser Landeskirche über 30 Alternativgottesdienste. Viele Gründungen dieser Alternativgottesdienste wurden durch die Nachteulengottesdienste angeregt. Während in der Kirchenleitung zunächst die Sorge im Vordergrund stand, dass Alternativgottesdienste zu einer Konkurrenz der Sonntagmorgengottesdienste werden können, wird heute die Zunahme von Alternativgottesdiensten allgemein begrüßt. Es hat sich herausgestellt, dass durch die Zunahme von Alternativgottesdiensten deutlich mehr Menschen einen evangelischen Gottesdienst besuchen, als es ohne die Alternativgottesdienste der Fall wäre. Auch außerhalb unserer Landeskirche haben die Nachteulengottesdienste zur Entstehung mehrerer ähnlicher Gottesdienste geführt.

Zu den Nachteulengottesdiensten sind zwei Bücher erschienen, die mittlerweile zwar vergriffen sind, aber immer wieder antiquarisch angeboten werden:

  • Georg Schützler, Siegfried Zimmer, Wohin gehen „Nachteulen“?: Argumente, Geschichten und Phantasien für Gottsucher und solche, die es werden könnten, Stuttgart 1998
  • Siegfried Zimmer, Georg Schützler, Nachteulen-Gottesdienste: spirituelle Angebote für Kirchenferne, Stuttgart 2001

Die Geschichte und die Theologie der Nachteulengottesdienste stelle ich in folgendem Buch ausführlich dar:

  • Irene Mildenberger, Wolfgang Ratzmann (Hg.), Jenseits der Agende, Reflexion und Dokumentation alternativer Gottesdienste, Leipzig 2003

 

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